TERRA-Online / Gymnasium


Sicherheitskonzept des Eurotunnels


Sicherheitstechnik, Vorsorge, Brandkatastrophe

Beim Bau des Tunnels spielte die Sicherheitstechnik von Anfang an eine zentrale Rolle. Die maximale Kapazitätsauslastung des Systems bedeutet, dass bis zu 12 Züge die Röhren gleichzeitig durchqueren können. Diese Problematik verdeutlicht die Notwendigkeit eines optimalen, hochentwickelten Sicherheitskonzeptes. Bei der Entwicklung der Sicherheitsvorkehrungen mussten sowohl anthropogene (Terroranschläge, menschliches Versagen) als auch naturgeographische (Erdbeben, Wassereinbrüche) Faktoren berücksichtigt werden. Um ein unnötiges Risiko zu vermeiden, sind Gefahrguttransporte jeglicher Art und Stufe verboten. Die Gefahr eines Zusammenstoßes zweier Züge sollte durch die Bauweise mit zwei getrennten Hauptröhren unmöglich gemacht werden.
Die geringste Sorge gilt den in dieser Region nur sehr selten auftretenden Erdbeben. Um Erdstössen vorzubeugen, sind sämtliche Inenverkleidungen der Tunnelröhren erdebensicher gestaltet.
Als größtes und wahrscheinlichstes Risiko gilt das Entstehen eines Feuers. Daher wurden zahlreiche Warnsysteme und umfangreiche Löschanlagen sowohl im Tunnel als auch in den Zügen installiert. Auch auf die Verwendung feuerbeständiger Materialien wurde großer Wert gelegt.
Terroristische Attentate bereiteten die größte Sorge bei der Tunnelplanung. Die Furcht galt hierbei vor allem dem möglichen Wassereinbruch, verursacht durch Bombenexplosionen. Dieses Problem erwies sich als unwahrscheinlich, da die Druckwelle einer Explosion den Weg des geringsten Widerstandes wählen würde und sich somit lediglich in den Tunnelröhren ausbreiten würde. Einsturzgefahr besteht daher aufgrund eines Attentates kaum. Ein größeres Problem sind jedoch durch die Explosion verursachte Feuer. Zur Überwachung der Betriebsanlagen und zur Prävention terroristischer Gewaltakte sind in und um den Eurotunnel 400 Polizisten im Einsatz. Es werden zusätzlich zur Zollabfertigung ständig Sicherheitskontrollen durchgeführt.


Sicherheitstechnik im Tunnel

Unter den Röhren befinden sich automatische Feuermelder und Löschanlagen. In den Querverbindungen befinden sich zusätzlich Hydranten. Falls diese Mittel das Feuer nicht löschen, wird automatisch oder manuell Halongas in den Tunnel geleitet, welches das Feuer ersticken soll. Im Falle eines Brandes sind die Zugfahrer angewiesen, mit dem brennenden Zug aus dem Tunnel herauszufahren, um am Terminal ein gesondertes Sicherheitsgleis anzusteuern und so verheerende Schmelzvorgänge im Inneren des Tunnels zu vermeiden.
Alle Fahrzeuge und Züge, die den Tunnel nutzen, sind aus feuerbeständigen Materialien gebaut, ebenso wie die Infrastruktur mitsamt aller Kabel. Die Materialien wurden zum Teil speziell für den Einsatz im Eurotunnel entwickelt. Um das Risiko einer Überhitzung zu minimieren, verlaufen unter jedem Zugtunnel Kühlungsrohre, welche für eine gleichbleibende Innentemperatur von 25 °C sorgen. Kühlstationen am britischen Shakespeare Cliff sorgen für eine niedrige Wassertemperatur der Kühlsysteme.
Die Versorgung mit Frischluft ist durch die Belüftungssysteme mit einer Leistung von 144 m³ Luft pro Sekunde sichergestellt, als Zuleitung dient der Servicetunnel. Dessen Luftdruck wird daher immer höher gehalten als der in den Hauptröhren. So kann im Falle eines Feuers die Evakuierung über die Serviceröhre ungehindert vollzogen werden. Zudem wird die Serviceröhre durch den höheren Druck frei von Rauch und giftigen Dämpfen gehalten. Laut offiziellen Angaben der Betreibergesellschaft reicht die Frischluft für 20.000 Personen. Sollte ein Teil der Belüftung ausfallen, kann sich zusätzlich ein Notventilationssystem zuschalten.
Gegen einen eventuellen Wassereinbruch und das ohnehin anfallende Sickerwasser arbeiten drei Pumpsysteme gemeinsam mit einer Leistung von 153 l/s, um das einsickerde Wasser aus den Tunnelröhren zu pumpen. Das abgepumpte Wasser kann in Notfällen ebenfalls für Löschmaßnahmen verwendet werden. Die eigene Stromversorgung des Tunnels ist wegen eventueller Stromausfälle bedeutend, er besitzt zudem eine Anbindung sowohl an das französische als auch an das englische Stromnetz.
Eurotunnel gibt an, dass Reisende innerhalb von 90 Minuten evakuiert werden können. Es existieren an beiden Enden des Tunnels Retungseinheiten, die mit ihren speziell für die Fahrt durch den Servicetunel konzipierten Rettungsfahrzeugen den Unfallort schnell erreichen können. Die Querverbindungen, welche alle 345 m den Servicetunnel mit beiden Haupröhren verbinden, ermöglichen einen schnellen Zugang zur Serviceröhre, welcher dann als Rettungs- und Evakuierungstunnel dient. Die volle Beleuchtung des Servicetunnels kann sowohl im Tunnel als auch durch das Kontollzentrum aktiviert werden. Durch die hohen Geschwindigkeiten des Eurostar wurden zudem zusätzlich zu den Servicetunnelverbindungen Druckausgleichsrohre zwischen den Röhren installiert, damit ein sicherer Betrieb gewährleistet wird.


Sicherheitstechnik der Züge

Wenn einer der Züge zum Stillstand kommt, können die weiteren Züge, welche sich im Tunnel befinden, ohne eine Verzögerung diesen verlassen, da durch die Crossover-Sektionen ein Wechsel in die andere Röhre möglich ist. Wenn Züge in Notfällen näher am Startpunkt sind, wird automatisch ein Fahrtrichtungswechsel veranlasst. Alle eingesetzten Schienenfahrzeuge sind ebenfalls feuerfest. Die Waggons sind mit unabhängigen Feuerwarnsystemen ausgestattet und hermetisch abgeschlossen. Die Frachtshuttles sind in der Lage, im äußersten Notfall Waggons abzukoppeln und mit Passagierwaggon und Triebkopf aus der Röhre zu fahren.
Alle Reisezüge besitzen zwei Triebköpfe. Sollte eine Lokomotive ausfallen, kann die zweite den Betrieb übernehmen. Für Notfälle, in denen beide Triebwagen ausfallen oder die Stromversorgung unterbrochen ist (alle Züge sind durch Elektromotoren angetrieben), stehen Dieselloks einsatzbereit. Diese sind mit speziellen Abgas- und Rußfiltern ausgestattet und können bei Bedarf ebenso wie alle anderen Züge ferngesteuert werden.


Überwachung der Sichherheit

Alle Steuerungsfunktionen sowie die wichtigsten Überwachungsaufgaben werden vom Hauptkontrollzentrum in Folkestone übernommen. Hier werden auch die Signale der 500 Sicherheitssensoren und Feuermelder im Inneren des Tunnels ausgewertet. Es steht in ständigem Kontakt zu allen Außenstellen, Lokführern, Zugpersonal sowie den Wartungs- und Rettungseinheiten. Dies wird durch hochentwickelte, bewegliche Kommunikationssysteme ermöglicht. Im Ernstfall können vom Kontrollzentrum aus alle Notfalleinsätze koordiniert werden. Die Züge lassen sich wenn nötig durch das Kontrollzentrum über eine Fernsteuerung übernehmen.
Falls die Systeme in der englischen Kontrollstelle ausfallen, existiert ein zweites Zentrum auf französischer Seite, welches normalerweise nur eine zusätzliche Überwachungsfunktion hat und im Ernstfall die gesamte Steuerung übernehmen kann. Alle für den normalen Betrieb und für Notfälle wichtigen Einrichtungen (Pumpstationen, Stromversorgung etc.) sind auf beiden Seiten vorhanden. Das Personal muss laut Eurotunnel regelmäßig an Notfalltrainings teilnehmen.


Unfall am 18. November 1996

Am 18. November 1996 kam es zu einem Brand auf einem Shuttlezug. Es zeigte sich nun, wie gut sich die theoretische Sicherheitstechnik im Ernstfall behauptete. Das vielgepriesene Sicherheitskonzept des Eurotunnels wurde durch den Unfall zum ersten Mal in Frage gestellt.
Bei dem Unglück war aus ungeklärter Ursache ein LKW auf einem Shuttlezug bereits vor der Einfahrt in den Tunnel in Brand geraten. Das sich auf der Fahrt von Calais nach Folkestone befindliche Frachtshuttle war mit insgesamt 29 LKW beladen und wurde durch die aktivierten elektronischen Sicherheitssysteme 19 km nach dem französischen Terminal im Tunnel gestoppt.
Das Feuer griff rasch auf andere LKW über und die starke Rauchentwicklung behinderte die Evakuierung von Zugpersonal und Fernfahrern, welche sich im Aufenthaltswaggon des Shutles befanden. 43 Personen wurden zumeist nur leicht verletzt, 8 Personen mussten mit Rauchvergiftungen ärztlich versorgt werden. Aufgrund der starken Hitzeentwicklung schmolzen in der betroffenen 800 m langen Tunnelsektion Kabel und Leitungen und es wurde von Rissen und Brüchen in den Betonsegmenten der Tunnelverkleidung berichtet.
Die Hauptkritik an diesem ersten Zwischenfall galt dem unzureichend arbeitenden Belüftungssystem im Tunnel. Zudem war das Lokpersonal aufgrund einer hitzebedingten, elektronischen Störung nicht in der Lage, Lokomotive und Aufenthaltswaggon mit den Passagieren von den brennenden Wagen abzukoppeln. Da die Elektrizitätszufuhr nun abgebrochen war, saß der Zug im Tunnel fest und konnte unmöglich bis zum Sicherungsgleis am Terminal weiterfahren. Kritik wurde zudem an den eindeutig zu spät eintreffenden Rettungsmannschaften aus Kent geübt. Erst 60 Minuten nach dem Nothalt des Shuttlezuges trafen 100 Feuerwehrleute am Ort der Unglücksstelle ein, diese brachten den Brand erst am nächsten Morgen unter Kontrolle.
Im Nachhinein stellte sich auslaufendes Benzin eines geladenen LKW als Gefahrenquelle heraus, welche in diesem Fall erstmals einen Brand verursachte.
Durch die Hitzeentwicklung, welche über 1.000 Grad erreichte, verschmolzen die Räder mit den Waggons und den Schienen, ein Teil der Infrastruktur im Inneren der Röhre verzog sich, tatsächlich waren Teile der Betonsegmente des Tunnels geplatzt. Der entstandene Schaden betrug weit über 100 Millionen Pfund. Auch wenn eine größere Katastrophe vermieden werden konnte, wurden nun Mängel am Sicherheitskonzept des Eurotunnels offengelegt. So kam es zu Verbesserungen an der Be- und Entlüftungsanlage der Haupttunnel ebenso wie am Kupplungssystem der Shuttlewagons. Nach dem Unglück wurde die Diskussion um die Verwendung der halboffenen Waggons für die LKW-Shuttles wieder entfacht. Kritiker sind sich einig, dass bei einer geschlossenen Bauweise das Risiko der schnellen Verbreitung der Flammen reduziert würde. Dies wird von Eurotunnel jedoch abgestritten, da eine solche Umstrukturierung hohe Kosten mit sich bringen würde. Sowohl von britischer als auch von französischer Seite wurde Eurotunnel angemahnt, einen eigenen Feuerwehrdienst zur Erhöhung der Sicherheit ins Auge zu fassen.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Michael Streifinger, Sebastian Bork
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2002
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 08.01.2006
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